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Koalitionsvertrag

Ich werde jetzt hier nicht diese substanzlosen 177 Seiten des Koalitionsvertrag analysieren. Das dürfen gerne andere tun. Substanzlos ist er für mich deshalb, weil er außer einer wohlgeschliffenen Sprache, die sich scheinbar um Politik kümmern will, nichts zu bieten hat, außer einem hilflosen weiter so.  Er geht einfach an den tatsächlichen Problemen vorbei. Nichts darin ist neu. Gar nichts darin ist ein Aufbruch. Er hat keine Dynamik. Zusammenhalt ist darin nicht zu finden. Es ist ein kaputtes Gewäsch eines reformbedürfigen kaputten Systems.

Warum ich es nicht analysieren und darstellen will, hängt damit zusammen, dass ich wahrscheinlich 1000 Seiten schreiben müsste um jeden einzelnen Punkt zu zerlegen, aber ein Beispiel kann ich ruhig geben. Im Koalitionsvertrag steht der schöne Satz: „Wir unterstützen Familien: Erhöhung Kindergeld um 25 Euro pro Monat und Kind und entsprechende Anpassung Kinderfreibetrag.“ und das schlimme an dem Satz ist, dass er keines aber auch keines der Probleme löst. Er ist eine Placebopolitik, die am Kern des wirklichen Problems vorbei geht und mitnichten irgendein Problem löst. In den tatsächlichen Verhältnissen wie sie in der Republik existieren, ist es faktisch nur ein Verschiebeposten in der Bilanz von einem Buchhaltungskonto auf ein anderes Buchhaltungskonto und verbessert nichts. Er klingt aber schön.  Familien müssten zwar unterstützt werden, aber diese 25 Euro wird ein Großteil der Familien gar nicht erreichen. Die über 20 Prozent der in Armut lebenden Kinder schon gleich gar nicht. Dazu muss man wissen, das ein Teil der Kinder, soweit sie nicht Kinder von Beamteneltern sind, von staatlichen Ersatzleistungen abhängen, bei denen das Kindergeld als Einkommen angerechnet wird. Die 25 Euro Erhöhung des Kindergeldes vermindern im selben Moment die Ausgaben an anderer Stelle des Bundeshaushaltes oder aber der Kommunen. Es ist also nur eine Umbuchung im Staatshaushalt und wird den Familien, die es am dringensten nötig haben und bei denen 25 Euro sogar noch viel Wert wären gar nicht erreichen. Bei reicheren Haushalten ist es nur eine Umbuchung der Steuereinnahmen auf das Kindergeldkonto. Eine Unterstützung der Familien ist es auch in diesen Fällen nicht. Eigentlich eine Luftnummer in einem komplexen reformbedürftigen System. Und so wie dieses Beispiel sind viele Sätze in diesem Koalitionsvertrag angelegt. Es sind wohlgemeinte Aussagen, die in einem möglicherweise noch komplexeren System enden, wenn sie umgesetzt werden, aber die wirklichen Probleme nicht lösen. Faule Kompromisse, die das Gute zu wollen scheinen, aber das Gesamtsystem noch schlimmer machen.

Ich glaube diesen Sätzen nicht. Sie sind ein politisches Gelaber, was ich mir jetzt 40 Jahre lang bereits anhöre, aber effektiv keine Konsequenzen nach sich zogen. Das Wort Bürokratieabbau löst demnächst wahrscheinlich bei mir Brechreiz aus. Nicht weil ein Bürokratieabbau nicht notwendig wäre, sondern weil alle Umsetzungen diesbezüglich in den letzten fünfzig Jahren die Bürokratie erhöht statt vermindert haben. Mein Vater hatte um 1969/70 rum eine Baufirma gegründet und konnte damals noch Häuser entwerfen und von einem Statiker absegnen lassen. Dann kam der Architektenzwang, Meisterzwang und was weiß ich noch alles über die Jahre hinweg. Nicht von ungefähr forderte er bereits in den Wahlkämpfen Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts Bürokratieabbau. Nur im Verhältnis zu heute war vor 40 Jahren die Bürokratie noch gering. Da drauf gesattelt kommt ja noch das ganze europäische Ausschreibungsrecht und hast du nicht gesehen. Nicht zu vergessen die ganzen Geschichten um Basel II auf der Finanzierungsseite, man müsste wahnsinnig sein unter diesen Umständen heute eine Baufirma zu gründen, wie es mein Vater damals tat. Mein Vater war ein Macher und auch ein Gründer und mit der Wende und dem Fall der Mauer hat er sich in den Aufbau Ost gestürzt. Aber seine Beschwerden über dieses Land wurden von Jahr zu Jahr schlimmer. Letztlich zog er irgendwann die Konsequenzen und wanderte aus. Seine Standardaussage in den letzten Lebensjahren war, wenn wir mal telefonierten „Vergiß Deutschland.“ und die andere Aussage war „Was machst du eigentlich noch in Deutschland?“. Seine Analyse um die Jahrtausendwende war, dass die Reformen verpasst wurden, weil wir den Sonderaufschwung Ost hatten und deswegen es uns leisten konnten, keine Reformen durchzuführen.

Statt einer Reform kam dann die Abschaffung des Sozialstaats unter Schröder. Hierbei haben wir ein recht einfaches System durch ein kontrollwütiges komplexes System ersetzt, welches sogar mehr kostet als das alte System. Welches im übrigen auch dazu führt, dass das Kindergeld bei armen Kindern nicht ankommt. Im Arbeitslosenhilfesystem hätte es das Kindergeld zusätzlich zur Arbeitslosenhilfe gegeben. In dem Schröder/Hartz-System wird das Kindergeld damit verrechnet. Warum das System nicht billiger geworden ist, hängt einfach damit zusammen, dass wenn ein Arbeitsloser 1600 Euro Arbeitslosenhilfe bekam und davon die Wohnung bezahlte und die Kinder ernährte jetzt im HartzIV-System dieselbe Summe ausgezahlt werden muss, allerdings nicht mehr an eine Person sondern an den gleichen Haushalt als Bedarfsgemeinschaft, mit einem weit höheren Verwaltungsaufwand und einem weit höheren Kostenaufwand. Letztlich erhält der Bedürftige tatsächlich weniger Geld, aber die Kosten für den Staat sind sogar höher. Das System ist also sogar noch ineffizienter geworden als es vorher schon war. Und genau diese Weiterwurschtelei besiegelt der Koaltionsvertrag von 2018. Ja er wird die Situation nochmal verschlimmern. Die Bürokratie wird sich ähnlich wie schon 2009 mit der FDP nochmal erhöhen. Glücklicherweise musste mein Vater nicht mehr erleben, wie die FDP direkt nach der Wahl die Hotelmehrwertlobbyistensteuer einführte und die Komplexität nochmal erhöhte.

Alle Altparteien versprechen seit ca. fünfzig Jahren das gleiche und bewirken seit ca. fünfzig Jahren mit jeder Regierung das exakte Gegenteil. Die AfD verdankt diesem kaputten System ihren Aufstieg. Wenn Seehofer sich dann hinstellt und sagt „Wir haben verstanden.“ dann hat der Kerle nichts aber auch gar nichts verstanden. Nicht die Flüchtlinge sind unser Problem. Nicht die Terroristen sind unser Problem. Das sind Nebelkerzen. Tatsächlich ist die AfD ja gerade dort am stärksten wo es so gut wie gar keine Ausländer gibt, aber es massig Strukturprobleme gibt. Die alte BRD in den 1970er Jahren hatte sich noch um strukturellen Ausgleich bemüht. Und sei es Filmfesttage in einer Grenzstadt wie Hof anzusiedeln. Wirtschaftliche Aktivitäten beschränkten sich nicht auf die Zentren, denen es eh schon gut ging. Achja und Flüchtlinge wurden nicht nach Bevölkerungsschlüssel verteilt, sodaß die dichtest besiedelten Regionen die meisten Flüchtlinge abbekamen, sondern es war umgekehrt. Ich musste damals einen DDR-Flüchtling in den bayerischen Wald fahren, obwohl er damals bereits in München war. Heutzutage teilen wir Flüchtlinge nach Einwohnerschlüssel zu und die Stadt München bekommt dann Flüchtlinge zugeteilt, obwohl sie eh schon ein Wohnungsproblem hat. Ein politischer Irrwitz und eine komplette Fehlentscheidung in doppelter Hinsicht. Gerade in wirtschaftliche schwachen Regionen wären die Gelder wesentlich besser aufgehoben. Wir haben gar keine Flüchtlingskrise, wir haben eine Politikkrise von über 40 Jahren Fehlentscheidungen.  Der Zusammenbruch der DDR hat nur verhindert, dass das kaputte System BRD repariert wurde. Im Gegenteil scheinen wir uns die schlechten Seiten der DDR gleich miteingekauft zu haben und damit meine ich nicht die Fremdenfeindlichkeit, sondern die allgegenwärtige Überwachung. Es scheint mir fast so, dass wir die beiden schlechten Seiten der DDR und der BRD Stück für Stück umsetzen und uns nicht um ein menschenwürdiges lebenswertes System kümmern wollen.

Das ganze färben wir dann mit einer schönen Sprache wie im Koalitionsvertrag ein. Wenn morgen dann irgendwelche Radikalen an der Macht sind und uns die Köpfe abschlagen, wundern wir uns. Wir sollten uns nicht wundern, denn sollte das geschehen sind wir selber daran schuld. Wir waren reformunfähig und haben kein menschenwürdiges System gewollt.

2 Gedanken zu „Koalitionsvertrag“

  1. Die Sprache ist beschämend und zeigt nur wieweit sich die Personen vom normalen entfernt haben. Er ist Augenwischerei in vielen Punkten und bei vielen Plänen, liegt vermutlich noch nicht einmal etwas über die tatsächlichen Folgen vor. Ansonsten hier und da ein bisschen, so das wir genug haben, um ihn als Erfolg verkaufen zu können.

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