Reich ist nicht gleich reich – und Einkommen ist nicht gleich Einkommen

Wenn in den Nachrichten von „den Reichen“ die Rede ist, fällt schnell die Zahl: rund 3,2 Millionen Deutsche verdienen mehr als 100.000 Euro pro Jahr. Auf den ersten Blick scheint damit alles klar: Wohlstand wird einfach über das Jahreseinkommen definiert. Doch ein genauerer Blick zeigt: die Realität ist weitaus komplexer. Denn Vermögen, Einkommen und steuerliche Realität sind drei verschiedene Welten.


Offizielle Zahlen – ein schmaler Ausschnitt

Die Statistik des Bundesfinanzministeriums zählt Einkommen so, wie es in den Steuererklärungen auftaucht. Damit erfasst sie:

  • Gehälter von Angestellten und Managern
  • Einkünfte aus selbständiger Arbeit
  • ausgewiesene Gewinne und Kapitaleinkünfte

Doch hier beginnt bereits die Verzerrung. Wer ein großes Vermögen besitzt, kann sein Einkommen buchhalterisch steuern. Viele Erträge tauchen in der Steuerstatistik schlicht nicht auf – oder werden so umgeleitet, dass sie nicht als persönliches Einkommen gelten.


Ein Beispiel aus der Praxis

Ein Mehrfamilienhaus bringt 345.600 Euro Mieteinnahmen im Jahr. Theoretisch hätte der Eigentümer ein komfortables Einkommen. Praktisch aber liegt das Haus in einer GmbH & Co. KG, verwaltet von einer kleinen Grundstücks-GmbH. Auf dem privaten Steuerbescheid erscheint dann lediglich ein Geschäftsführergehalt von vielleicht 60.000 Euro.

Die reale Kaufkraft bleibt hoch – die offizielle Einkommensstatistik sieht jedoch nur einen normalen Mittelständler.


Strukturen, die Einkommen unsichtbar machen

  • GmbH & Co. KG und Holdings: Gewinne werden innerhalb der Gesellschaft thesauriert, also nicht ausgeschüttet.
  • Immobiliengesellschaften: Mieten erscheinen als Umsatz der Firma, nicht als Einkommen des Eigentümers.
  • Freiberufler-Holdings: Ärzte, Anwälte oder IT-Selbständige lassen Überschüsse in der Firma.
  • Auslandswohnsitze: Vermögende melden Einkommen oft dort an, wo es steuerlich günstiger ist.

Das Ergebnis: In den Steuerstatistiken tauchen sie gar nicht oder nur mit vergleichsweise kleinen Beträgen auf.


Offiziell 3,2 Millionen – real deutlich mehr

Rechnet man Immobilienbesitzer, Unternehmer und Kapitalanleger mit ein, die ihre Gewinne über Gesellschaften laufen lassen, ergibt sich ein anderes Bild. Statt 3,2 Millionen dürften es in Wahrheit 4 bis 5 Millionen Menschen sein, die in Deutschland über eine Kaufkraft von mehr als 100.000 Euro jährlich verfügen.

Der Unterschied liegt in der Definition von Einkommen:

  • Statistisch: nur das, was auf dem Steuerbescheid steht.
  • Ökonomisch: das, was jemand tatsächlich an Erträgen oder Zugriff auf Vermögen hat.

Reich ist nicht gleich reich

Ein Manager mit 200.000 Euro Jahresgehalt gilt statistisch als „reich“. Gleichzeitig gibt es Unternehmer, die offiziell nur 60.000 Euro verdienen – aber über Gesellschaften Immobilien oder Beteiligungen im Millionenwert kontrollieren.

Das zeigt: Einkommen und Vermögen sind nicht dasselbe. Wer wirklich über Wohlstand in Deutschland spricht, muss beide Größen zusammen betrachten – und die Konstruktionen berücksichtigen, die Einkommen in der Statistik unsichtbar machen.

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