Das Taiga-Dilemma

Der Wald hatte keine Augen, nur Stille. Und doch hatte er Ohren, von denen die Kreml-Analysten nichts wussten. In der Weite der sibirischen Taiga, wo das nächste Dorf Hunderte von Kilometern entfernt war, wurden Bäume nicht gefällt, sondern gefeiert. Eine kleine Gruppe, die sich selbst „Ökologische Taiga-Brigade (ÖTB)“ nannte, hatte sich tief in den Wäldern Kamtschatkas und an den Ufern des Baikalsees eingenistet.

Ihre Existenz war so unspektakulär wie die der Vögel, die über den Baumwipfeln kreisten. Sie lebten dort. Sie jagten. Sie bauten ihre eigenen, unsichtbaren Lager. Und sie töteten. Aber nicht als Söldner, die für ein Land kämpften, sondern als Anarcho-Ökologen, die eine neue Weltordnung durch die Ausbeutung der alten schufen.

Das Geld dafür kam nicht aus Washington, Berlin oder London. Es floss über verschlungene, dezentrale Krypto-Netzwerke aus den Konten eines internationalen Konglomerats von exzentrischen Milliardären – ein Tech-Tycoon aus dem Silicon Valley, ein Rohstoff-Magnat aus Südafrika, der seinen Reichtum moralisch läutern wollte, und ein südamerikanischer Agrarbaron, der die Vorstellung liebte, die Welt neu zu gestalten.

Die ÖTB war ein Spiegelbild der russischen „kleinen grünen Männchen“ auf der Krim, nur mit einem entscheidenden Unterschied: Man konnte sie keinem Staat zuordnen. Sie waren das pure Chaos, finanziert von dem, was man nur als globale Launenhaftigkeit bezeichnen konnte.

Ihre Taktiken waren so irritierend wie effektiv. Sie schlichen sich an die weitläufigen Pipelines heran, nicht um sie zu zerstören, sondern um Ventile zu manipulieren, um den Fluss von Gas und Öl minimal zu stören. Sie betrieben illegalen Bergbau in abgelegenen Gebieten und verkauften die Rohstoffe, um ihre Operationen zu finanzieren. Ihre Angriffe auf russische Patrouillen waren keine Schlacht, sondern kaltblütige Hinterhalte.

Für den Kreml war das ein Albtraum. Ein offizieller Angriff der regulären Armee würde die Zerstörung des Ökosystems bedeuten, das diese Gruppe angeblich schützte. Die internationale Gemeinschaft würde die Berichte von den „mutigen Öko-Rebellen“ feiern. Die russische Propaganda, die seit Jahren das Narrativ der „westlichen Aggression“ bemühte, hatte hier nichts in der Hand. Die Täter trugen keine NATO-Uniformen, sprachen kein Englisch und waren ideologisch so weit von westlicher Politik entfernt, wie Sibirien vom Mond.

Präsident Putin stand vor einem unlösbaren Dilemma. Die Bedrohung in der Taiga war real, wuchs und untergrub die Souveränität Russlands. Die Ressourcen, um sie zu bekämpfen, waren jedoch in der Ukraine gebunden. Jede größere Truppenverlagerung würde das Ende der „Sonderoperation“ bedeuten. Die Welt, in der Russland sich das Recht herausgenommen hatte, das Völkerrecht zu brechen, hatte sich gegen das Land gewendet. Die eigenen Waffen – die asymmetrische Kriegsführung, die nicht-staatlichen Akteure – wurden nun gegen Moskau selbst eingesetzt. Die Riesenregionen Sibiriens, einst das Rückgrat von Russlands Macht, wurden zu seiner größten Schwachstelle.