Kuschelkurs statt Kreuzverhör

Was man aus einem schlechten Interview lernen kann

 

Journalistinnen haben eigentlich eine klare Aufgabe: Sie sollen politische Akteure kritisch hinterfragen. Bei einem Interview von Liane Bednarz mit Benedikt Kaiser, einem Vordenker der Neuen Rechten, wurde diese Aufgabe leider verfehlt. Statt harten Nachhakens bekamen Leserinnen einen Wohlfühl-Hofbericht serviert – höflich, zustimmend und weitgehend kritikfrei.

Warum das problematisch ist, lässt sich an einigen Punkten besonders gut zeigen:

1. Die Begriffe des Gegners übernehmen

Kaiser verwendet Wörter wie „postliberal“, „Meta- und Realpolitik“ oder „positive konservative Wende“. Die Interviewer übernehmen diese Begriffe einfach, ohne zu fragen, was sie konkret für die Menschen bedeuten.Problem: Die Ideologie wird unkritisch als neutral präsentiert.Besser: Journalisten sollten die Begriffe übersetzen und erläutern lassen – zum Beispiel: „Was bedeutet ‚postliberal‘ konkret für Bürgerinnen und Bürger, für Minderheiten, für die Demokratie?“

2. Suggestivfragen statt echter Nachfragen

Ein klassisches Beispiel aus dem Interview: „…weil die AfD kein Juniorpartner werden soll?“ Hier muss Kaiser nur zustimmen – kritische Auseinandersetzung entfällt.Problem: Leser*innen bekommen die Antwort vorgekaut.Besser: Offene Fragen stellen, die den Gesprächspartner inhaltlich herausfordern: „Warum sehen Sie diese Strategie als notwendig, und welche demokratischen Grenzen beachten Sie dabei?“

3. Historische Relativierungen unkommentiert

Kaiser lobt Preußen als Vorbild für gemeinschaftliche Werte. Historische Probleme wie Militarismus oder autoritäre Strukturen werden nicht hinterfragt.Problem: Ideologische Mythen werden legitimiert.Besser: Journalist*innen sollten den historischen Kontext einbeziehen: „Welche Aspekte der preußischen Geschichte halten Sie für vorbildlich – und welche nicht?“

4. Menschenrechte und internationale Beispiele

Kaiser nennt Ungarn und Polen als Vorbilder für konservative Wenden. Einschränkungen von Pressefreiheit, Justizunabhängigkeit oder LGBTQ+-Rechten werden nicht thematisiert.Problem: Leser*innen bekommen ein verzerrtes Bild autoritärer Politik.Besser: Nachhaken: „Wie beurteilen Sie die Einschränkungen von Grundrechten in diesen Ländern?“

5. Illiberale Demokratie und das Grundgesetz

Kaiser spricht von einer „postliberalen“ Interpretation des Grundgesetzes, ohne dass kritisch nachgefragt wird, wie das Grundrechte, Gleichbehandlung oder Minderheiten konkret betrifft.Problem: Normalisierung einer ideologischen Sichtweise auf die Verfassung.Besser: Klarstellen und nachfragen: „Welche Maßnahmen würden Sie ergreifen, um Grundrechte im Sinne Ihrer ‚postliberalen‘ Vorstellung auszulegen?“

Fazit: Journalismus ist kein Kaffeekränzchen

Dieses Interview zeigt, wie schnell ein kritisches Gespräch zum Kuschelkurs werden kann. Leser*innen sollten erkennen, wenn Suggestivfragen dominieren, Begriffe unkritisch übernommen werden und wichtige Nachfragen zu Menschenrechten und Demokratie fehlen. In solchen Fällen wird aus Journalismus eher eine Bühne für Selbstvergewisserung, statt dass Öffentlichkeit kritisch informiert wird.

Ein kritisches Interview hätte den Finger in die Wunde gelegt – und genau das ist es, was Journalismus leisten sollte.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert